Im
letzten Beitrag hatte ich erwähnt, dass die DRV im Zuge ihrer letzten
Visitation unserer Klinik die Laufzeit der Entlassungsberichte zum zentralen
Gütekriterium erhoben hat. Trotz hoher Patientenzufriedenheit, guter
therapeutischer Leistung und räumlicher Ausstattung wurde angedroht, die Klinik
nicht mehr zu belegen, wenn die Berichtslaufzeit sich nicht verbessere. Ich
hatte dies als weiteres Beispiel einer unseligen
Dominanz der DRV beschrieben.
Es
handelt sich jedoch auch um ein Beispiel, wie
Messgrößen inzwischen auch im Bereich der Psychotherapie und Sozialarbeit an
Einfluss gewinnen. Neben der Laufzeit von Berichten gehören dazu besonders
auch die Anzahl sogenannter evidenzbasierter Therapiemodule (ETM) sowie die
personelle Ausstattung entsprechend der von der DRV geforderten Anzahl und
Qualifikation.
Zur
Unwissenschaftlichkeit der ETMs hatte
ich mich bereits in einem früheren Beitrag geäußert. In Wahrheit handelt es
sich nämlich um völlig willkürliche
Bestimmungen der DRV, was welcher Patient in welchem Umfang an Behandlung benötigt
(z.B. mindestens eine Stunde soziale Beratung für jeden arbeitslosen Patienten).
Ob Art und Umfang der Leistung zu diesen Vorgaben passen, lässt sich dann
wunderbar messen. Ob der einzelne Patient dabei jedoch tatsächlich einen Gewinn
verspürt, bleibt außer Betracht. Manchmal drängt sich sogar der Gedanke auf,
dass die vor Jahren häufig erlebten gemeinsamen Feste und Ausflüge von Patienten
und Mitarbeitern sowie Gemeinschaftserlebnisse in der Arbeitstherapie womöglich
einen höheren therapeutischen Nutzen hatten (und das besonders in einer
suchtfördernden egozentrischen Gesellschaft) als die heutigen Therapiemodule
wie Kommunikationstraining, Rückfallprävention, Selbstsicherheitstraining etc.
Die
personelle Ausstattung einer Reha-Klinik
wird ebenso rigide reglementiert. Beispielsweise werden heute für eine
Suchtfachklinik gefordert: Facharzt für Psychiatrie, Psychologen und
Sozialpädagogen mit DRV-anerkannter Zusatzausbildung, Ergotherapeuten etc. Wo
vor Jahren noch Ärzte verschiedener
Fachrichtungen, Sozialarbeiter, Pädagogen und Theologen mit unterschiedlichen
psychotherapeutischen Ausbildungen und Arbeitserzieher sowie begnadete
Handwerker für die Arbeitstherapie anzutreffen waren, ist heute im personellen
Bereich alles überschaubar und dadurch natürlich auch vergleichbar und messbar
geregelt.
Nur
leider lässt sich etwas gerade für die Behandlung psychisch Kranker sehr
Wesentliches überhaupt nicht festlegen oder gar messen, und das sind die sozialen und emotionalen
Kompetenzen, neudeutsch spricht man heute von „Soft Skills“. Den sozial engagierten
Schreiner, der ein Händchen für schwierige Menschen hat, finden wir nicht mehr
in der Arbeitstherapie. Dafür den ausgebildeten Ergotherapeuten mit passendem
Zertifikat, egal, was der wirklich draufhat. Pädagogen und Theologen, die sich
vor längerer Zeit mit psychotherapeutischer oder seelsorgerlicher Ausbildung
engagiert um Suchtpatienten gekümmert haben, sind inzwischen Auslaufmodelle. Die
Sozialarbeiter mit DRV-anerkannter suchtspezifischer Zusatzausbildung sind aber
noch immer so rar, dass von ihnen jeder als Therapeut genommen wird, Soft
Skills hin oder her. Dasselbe gilt für psychiatrische Fachärzte: Wenn man
überhaupt einen für eine Suchtklinik bekommt, bloß zugreifen und gut bezahlen,
den sonst belegt die DRV nicht mehr.
Übrigens
haben wir noch eine Arbeitstherapeutin vom alten Schlag. Die würde wegen ihrer „mangelnden
Qualifikation“ heute keinen Job mehr bekommen. Seltsam nur, dass in unseren
Patienten-Vollversammlungen die meisten Entlasspatienten sich besonders bei ihr für
die gute Behandlung und hilfreichen Gespräche bedanken.
Für
mich ergeben sich deshalb diese zentralen Forderungen:
- - Zulassung einer Vielfalt therapeutischer Methoden (weg von den ETMs)
- - Wiederzulassung verschiedener sozialer Berufsgruppen mit unterschiedlichen therapeutischen Zusatzausbildungen
- - Stärkere Orientierung an Patientenwünschen und ihren Feedbacks (weg vom Messbarkeitswahn)