Neulich erfuhr ich ein weiteres Beispiel,
wie die Deutsche Rentenversicherung sich anmaßt, Suchtbehandlung und -beratung
in Deutschland zu reglementieren:
Ein seit über 20 Jahren in der
Suchtbehandlung erfahrener Kollege, der für kurze Zeit in einem anderen Arbeitsbereich
beruflich tätig war, hatte sich an einer psychosozialen Beratungsstelle wieder
als Suchtberater beworben und war von der Beratungsstelle auch als geeigneter
Kandidat ausgewählt worden. Eine vorherige Nachfrage bei der Rentenversicherung
ergab jedoch, dass der Bewerber keine Zulassung seitens der Rentenversicherung
als Suchttherapeut erhält. Bei einer Einstellung dieses Kollegen durch die
Suchtberatungsstelle wären finanzielle Leistungen der Rentenversicherung zum
Beispiel für Nachsorgemaßnahmen entfallen.
Wie ist es aber zu verstehen, dass ein
Sozialpädagoge mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung und jahrzehntelanger
Erfahrung in der Behandlung von Suchtkranken für diese Aufgabe nicht mehr
geeignet sein soll? Den Hintergrund bildet eine Suchtvereinbarung der
Leistungsträger für Suchtbehandlungen aus dem Jahre 2002. Darin wird minutiös
geregelt, welche Berufsgruppen mit welcher Ausbildung, welche Aufgaben im
Bereich der Suchtbehandlung ausüben dürfen. Diese Vereinbarung wurde über
etliche Jahre noch mehr als Empfehlung gehandhabt, seit einiger Zeit aber wie
man nicht zuletzt an diesem Beispiel sieht restriktiv umgesetzt.
Der Knackpunkt ist, dass sich die Deutsche
Rentenversicherung hier quasi gesetzgeberische Vollmachten anmaßt. Gerade bezüglich
der Berufsausübung gibt es nämlich gemäß §12 Abs.1 Grundgesetz einen
sogenannten Gesetzesvorbehalt des Gesetzgebers (also des Bundestages). Das
bedeutet, dass eine generelle Festlegung, wer in Deutschland Suchtbehandlung
machen darf, nur vom Gesetzgeber geregelt werden kann. Da dies im Bereich der
Suchttherapeuten noch nicht geschehen ist, versuchen die Kostenträger mit der
Suchtvereinbarung von 2002 diese Lücke zu füllen, allerdings mit prekären
Folgen und unter Anmaßung einer Autorität die ihnen nicht zusteht.
Ich selber bin ein weiteres Beispiel
dieses Problems: Als Diplompädagoge mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung
in Gestalttherapie erfülle ich gleich in doppelter Hinsicht nicht die Kriterien
der Suchtvereinbarung. Erstens werden Diplompädagogen durch diese Vereinbarung
von der Arbeit als Suchttherapeuten generell ausgeschlossen. Inzwischen ist
sogar eine Aufforderung an die Ausbildungsinstitute für Suchttherapie ergangen,
Diplompädagogen dafür nicht mehr zuzulassen. Zweitens ist die Gestalttherapie
zwar inzwischen eine DRV-anerkannte Zusatzausbildung, allerdings nur in ihrer
suchtspezifischen Variante und nicht als Psychotherapie, in der ich ausgebildet
bin. Nun bin ich aber ebenfalls bereits seit annähernd 20 Jahren in der
Behandlung von Suchtkranken inzwischen in der dritten Fachklinik tätig. Ich
darf diese Arbeit auch mit dem Segen der Rentenversicherung ausüben, aber
meinen Arbeitgeber nicht wechseln. Würde ich mich für eine Arbeitsstelle in
einer anderen Suchtklinik bewerben, würde ich plötzlich strikt an den Kriterien
des Vereinbarung 2002 gemessen mit Sicherheit abgelehnt.
Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass mein
Kollege, dessen Fall ich eingangs geschildert habe, nun den Mut hat, in einer
Art Musterprozess gegen die Deutsche Rentenversicherung den Fall für sich und
damit für viele andere Betroffene zu entscheiden. Das wäre allem Anschein nach
sogar auch im Interesse von Fachverbänden, in denen die Suchtkliniken sich
organisieren. Doch die trauen sich bislang nicht, gegen ihre Kostenträger
(überwiegend die Rentenversicherungen) vorzugehen, offenbar aus Angst, dass die
angeschlossenen Kliniken dann womöglich nicht mehr belegt werden.
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