Freitag, 15. August 2014

Dominanz der DRV in der stationären Reha II

In der letzten Woche hat die zuständige Rentenversicherung eine sogenannte Visitation in unserer Fachklinik für Suchtkranke durchgeführt. Es handelt sich schlicht um eine Überprüfung von Kliniken nach den von den Rentenversicherungs-Trägern festgesetzten Gütekriterien. Wir hatten eigentlich Glück. Denn fast alles, was geprüft wurde, stellte die Mitglieder der Visitationskommission zufrieden: Therapeutische Angebote, Ausstattung der Klinik, Zufriedenheit der Patienten. Zumal wir ja ohnehin eine der wenigen kleineren Kliniken sind, die sogar von der anspruchsvollsten Rentenversicherung, der DRV Bund (ehemals BfA), belegt werden.

Ein Manko fanden sie dann aber doch: Die Laufzeit unserer Entlassungsberichte (also die Anzahl an Tagen, die nach der Entlassung eines Patienten bis zum Eintreffen des Berichts bei der Rentenversicherung vergeht) betrug während des geprüften Zeitraums durchschnittlich 17 Tage. Die Vorgabe der DRV beträgt aber nur 14 Tage. Dies stellt nun wieder eine Neuerung dar. Denn bislang wurde geschaut, wie viele Berichte innerhalb der 14 Tage eintreffen und wie viele erst später. Wenn ausreichend viele innerhalb dieser Zeitvorgabe lagen, war das OK. Nimmt man jedoch, und das ist das Neue, die Durchschnittslaufzeit sämtlicher Berichte zusammen, können wenige „Ausrutscher“ das Durchschnittsergebnis verschlechtern.

Und jetzt kommt noch der Hammer: Die Kommission drohte uns, trotz sehr guter sonstiger Bedingungen, tatsächlich an, dass unsere Klinik nicht mehr belegt werde, wenn sich die Berichtslaufzeit nicht bessere. Dabei war die Qualität der Berichte uninteressant, Schnelligkeit ist jetzt oberstes Gebot.

Uuups, dachte ich spontan, wenn jetzt ein Patient vorzeitig entlassen wird oder seine Behandlung abbricht, muss ich wohl besser ein paar Einzelgespräche ausfallen lassen, damit der Bericht pünktlich fertig wird (denn die Entlassungsberichte in der Sucht-Reha sind sehr umfangreich und bedeuten mehrere Stunden Arbeit). OK, der gemessene Zeitraum war dummerweise ein ungünstiger, unsere Berichtslaufzeit liegt bereits wieder im geforderten Rahmen. Dennoch sehe ich hier ein weiteres Beispiel, wie bürokratische Vorgaben sich zulasten der Patienten auswirken können. Zumal der Anteil meiner Gesamtarbeitszeit, die ich tatsächlich mit Patienten arbeite, ohnehin höchstens noch 30% ausmacht, der „Rest“ ist Administration.

Es ist für mich aber auch ein weiteres Argument für die notwendige stärkere Unterstützung der Selbstbestimmung von Patienten. Die wird nämlich von den Rentenversicherern schon seit Langem mit Füßen getreten. Denn gemäß §9 SGB IX soll „bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen … (den) berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen“ werden. Und gemäß §17 SGB IX ist sogar ein „Persönliches Budget“ für die Patienten möglich, indem sie u.a. einen „Geldscheck“ erhalten, mit welchem sie über die Form der erforderlichen Leistung weitgehend selbst entscheiden können. Der Gesetzgeber fordert hiermit klar ein hohes Maß an Selbstbestimmung der Betroffenen.

Soweit die Theorie. Da jedoch gerade Suchtpatienten, wenn sie denn endlich an dem Punkt sind, da es ohne professionelle Hilfe nicht mehr geht, in der Regel nicht mehr in der Verfassung sind, sich mit ihrer Rentenversicherung über Art und Dauer ihrer Behandlung auseinanderzusetzen, sagen sie regelmäßig auch ja zu allem, was ihnen vorgesetzt wird, und die DRV entscheidet weitgehend allein, durch wen und wie ihr Versicherter therapiert wird. Vor diesem Hintergrund könnte jetzt sogar von Missbrauch abhängiger Menschen durch ihre Rentenversicherer die Rede sein, indem Letztere ihre Machtposition auch zulasten der Ersteren ausbauen. Dabei können die DRVen vor rechtlichen Schritten noch recht sicher sein. Die betroffenen Patienten sind zu schwach um zu klagen, die Kliniken können das nicht, weil sie rechtlich nicht betroffen sind, und die Suchtfachverbände hüten sich vor Kritik, da sie befürchten, dass die ihnen angeschlossenen Kliniken sonst Belegungsnachteile bekommen könnten.

Dies scheint mit daher auch ein weiteres Beispiel dafür zu sein, wie der Gesetzgeber gut gemeinte Absichten per Gesetz vorgibt, deren praktische Umsetzung jedoch nicht zulänglich regelt. Dies trifft auf wichtige Teile des SGB IX sowie auf das (an anderer Stelle erwähnte) Betriebsverfassungsgesetz zu. Jedes Mal triumphieren gesellschaftliche Machtstrukturen über gesetzliche Vorgaben.

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