Donnerstag, 11. September 2014

Gesetzeslücke: Betriebsräte werden zur Untätigkeit verurteilt

Ich muss unsere letzte Sitzung des Gesamtbetriebsrats erst noch verdauen. Angefangen von der Anzahl der Teilnehmer bis zu verschiedenen Äußerungen einzelner Mitglieder. Eigentlich waren sogar relativ viele GBR-Mitglieder vertreten. Dennoch war nicht gleich ersichtlich, ob die Versammlung diesmal beschlussfähig ist, denn ausgerechnet zwei GBR-Mitglieder mit hohem Stimmenanteil (bemisst sich nach der Anzahl der Wahlberechtigten im jeweiligen Betrieb bei der letzten Betriebsratswahl) waren unentschuldigt abwesend. Dabei kam auch zur Sprache, dass ein GBR-Mitglied (leider auch noch dasjenige mit dem höchsten Stimmenanteil) sich generell weigert, an dem für einzelne Sitzungen festgelegten sehr weit entfernten Sitzungsort anzureisen. Es ergab sich dennoch ein Stimmenanteil der Anwesenden von etwas über 50 %, was zur Beschlussfähigkeit ausreichte. Glück gehabt! Sonst hätten wir z.B. eine dringend erforderliche Änderung unserer Geschäftsordnung nicht beschließen können.

Unter Punkt Verschiedenes gab es dann am Ende der Sitzung noch Raum für Aussprachen. Eine Betriebsrätin aus einem Altenpflegeheim beklagte, dass sie ihren Urlaub habe unterbrechen müssen, um an der Sitzung teilzunehmen. Das Ersatzmitglied, das sie hätte vertreten müssen, habe sich wegen Arbeitsüberlastung geweigert, seinen Arbeitsplatz in der Altenpflege wegen der GBR-Sitzung zu verlassen.  Eine Kindererzieherin konnte das verstehen. Ihre Stellvertreterin im GBR müsse sie gleichzeitig auch im Kinderhort vertreten. Es sei dann im Urlaub oder Krankheitsfall nahezu ausgeschlossen, die eh schon überlasteten Kolleginnen im Hort alleinzulassen, um Betriebsratsarbeit zu machen. Die stellvertretende Vorsitzende des GBR war eigentlich im Krankenstand, nahm jedoch wegen der oft bedenklich niedrigen Teilnehmerpräsenz dennoch an der Sitzung teil (was nach Absprache mit dem Arzt rechtlich ok ist).

Mir wurde wieder einmal deutlich, wie unterschiedlich ernst Betriebsräte ihre Aufgaben nehmen, zu denen die GBR-Teilnahme als eine rechtliche Verpflichtung unbedingt dazugehört. Eine Zuspitzung erfuhr dieser Eindruck noch durch die Äußerung der oben erwähnten Kollegin aus der Altenpflege, dass es auch in ihrem örtlichen Betriebsrat (also im Pflegeheim) immer wieder schwierig sei, alle Betriebsräte zu den erforderlichen Sitzungen zusammenzubekommen, da manch einer sich zwar als Betriebsrat wählen lasse, sich dann jedoch als solcher kaum engagiere. Dabei sind diese wenig Engagierten noch das geringere Problem. Denn das lässt sich meist lösen, indem man sie nicht wiederwählt. Schwieriger wird es mit dem Hinderungsgrund: „Ich kann nicht kommen, hab zu viel Arbeit bzw. andere würden dann zu sehr belastet!“ Zum einen ist das rechtlich kein Hinderungsgrund, an der GBR-Sitzung teilzunehmen, da diese laut Gesetz in der Regel vorrangig ist. Abwesenheit wegen Arbeitsüberlastung gilt dann als unentschuldigtes Fehlen, das Ersatzmitglied darf deshalb nicht nachrücken und die Beschlussfähigkeit des GBR wird beeinträchtigt.

Wie aber kann sein, was nicht sein darf? Betriebsräte müssen doch für ihre Aufgaben freigestellt und von ihrer „normalen“ Arbeit entsprechend entlastet werden! In Industriebetrieben z.B. mag das ja auch funktionieren. Für den Arbeitsausfall durch Betriebsräte werden Stellen aufgestockt und notfalls die Preise erhöht. Bei Verwaltungsangestellten bleiben vielleicht Akten liegen, die verzögert bearbeitet werden. Aber in allen Berufen, die mit Menschen arbeiten, gibt es ein Problem. Menschen in der Altenpflege müssen versorgt, Kinder im Hort betreut werden etc. Da gerade im sozialen Bereich die Stellenpläne Betriebsräte generell nicht vorsehen und die Kostenträger sich auch weigern, Einrichtungen mit Betriebsräten entsprechend zu finanzieren, wird die von Betriebsräten nicht erledigte Arbeit automatisch auf andere Mitarbeiter verlagert. Genauso automatisch werden engagierte Betriebsräte in solchen Einrichtungen sozialem Druck ausgesetzt. Nicht nur vonseiten des Arbeitgebers, sondern auch von Kollegen. Das Ergebnis ist regelmäßig entweder eine Überlastung der Betriebsräte oder ein vermindertes Engagement.

Was ist nun zu tun? Ein (nicht ernst gemeinter) Vorschlag wäre, die Absätze 2,3, 6 und 7 des §37 Betriebsverfassungsgesetz (hier geht es um die Arbeitsbefreiung von Betriebsräten) komplett zu streichen, um so die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit wenigstens zu verringern. Nein, im Ernst: Hier tut sich eine Gesetzeslücke auf.

Auch für Freistellungen nach §37 BetrVG muss ein zeitlicher Rahmen (z.B. in Prozent einer vollen Stelle) definiert werden, in welchem Betriebsräte von ihren arbeitsvertraglichen Aufgaben zu entlasten sind. Entsprechend muss es auch eine gesetzliche oder meinetwegen auch tarifvertragliche Verpflichtung geben, Stellenpläne in sozialen Einrichtungen entsprechend anzupassen. Gleichzeitig  wird es nötig, die Kostenträger sozialer Einrichtungen zu verpflichten, Betriebsratstätigkeit als erforderliche Arbeit bei der Berechnung von Pflegesätzen und dergleichen zu berücksichtigen.

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