Nach meiner urlaubs- und
krankheitsbedingten „Auszeit“ habe ich neulich endlich auch wieder an einer
Sitzung des Gesamtbetriebsrats teilgenommen. Erfreulicherweise gab es diesmal
eine recht ordentliche Teilnehmerzahl zu verzeichnen, sodass wir mit den
Stimmenanteilen der anwesenden Betriebsräte mit gut 700 der eigentlich mehr als
900 Stimmen beschlussfähig waren. Aber Moment mal, unser Unternehmen hat doch
an die 2.300 Beschäftigte! Also werden ja mehr als 1.300 davon überhaupt nicht
durch Betriebsräte vertreten! Und dabei handelt es sich bei diesem Unternehmen
noch um eines, das sich auf gesellschaftspolitischer Ebene unter anderem auch
immer wieder für soziale Gerechtigkeit stark macht: die Arbeiterwohlfahrt mit
ihren Wurzeln in der Arbeiterbewegung der Zwischenkriegszeit des 20.
Jahrhunderts. Wie kann es geschehen, dass ausgerechnet eine Gliederung dieses
Sozialverbandes, von dem man aktives Eintreten für Arbeitnehmerrechte erwartet,
sich leistet, in den eigenen Betrieben genau dies nicht bzw. nur halbherzig zu
tun?
Bei etwas
detaillierterer Betrachtung, der Verteilung von Betriebsräten auf die Betriebe
der AWO Schwaben wird deutlich, dass es in der Mehrzahl die größeren Altenheime
sind, in denen Betriebsräte installiert wurden. Fast gar nicht vertreten sind
die vielen Kindergärten und Beratungsstellen der AWO. Ich als Betriebsrat einer
Fachklinik mit 18 Mitarbeitern bilde eine der Ausnahmen, bei der kleinere
Betriebe doch einen Betriebsrat gewählt haben. Besser müsste man sagen: bei der
sich überhaupt Kollegen oder Kolleginnen zur Wahl gestellt haben. Warum dies
meist nicht geschieht, habe ich im Grunde bereits in meinem letzten Blogbeitrag
dargestellt. Ich werde aber nicht müde, hier immer wieder auf eklatante Mängel
hinzuweisen. Daher vielleicht dasselbe hier noch mal mit anderen Worten:
Der § 37 BetrVG sichert mir als
Betriebsrat zu, dass mein Arbeitgeber mich von meiner beruflichen Tätigkeit zu
befreien hat, wenn und soweit dies zur Durchführung meiner Betriebsratsaufgaben
erforderlich ist. Toll! Dann ist ja alles klar! Entsprechend hatte mir auch ein
früherer Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats (GBR) des Unternehmens, zu welchem
die Einrichtung gehört, in der ich beschäftigt bin, gesagt: „Du hast alle Zeit
der Welt für deine BR-Aufgaben!“ Fantastisch! Dann werde ich also ca. 20-30 %
von meiner beruflichen Arbeit entlastet, da ich ja als einzelner Betriebsrat auch
gleichzeitig Mitglied im GBR des Unternehmens bin und als solches wiederum in
den Gesamtbetriebsausschuss (GBA) gewählt wurde. Beides ist jeweils mit
zusätzlicher Reisetätigkeit außerhalb der Einrichtung, in der sich mein
Arbeitsplatz befindet, verbunden.
Nun kommt aber
mein Chef daher, schaut mich milde lächelnd an und meint: „Das mit den 20-30 %
Entlastung kannst du vergessen! Denn die kriege ich von den Kostenträgern nicht
refinanziert!“ Ich arbeite nämlich in einer Klinik, die mit
Rentenversicherungen und Krankenkassen einen Pflegesatz aushandeln muss, in dem
unter anderem ein bestimmter Personalschlüssel berücksichtigt wird. Da aber
viele Kliniken keinen Betriebsrat haben, sind diese Kostenträger nicht bereit,
den Einrichtungen mit Betriebsräten mehr Geld zu bezahlen, damit sie ihr
Personal um die für die Betriebsratsarbeit erforderliche Größe aufstocken
können. Um es einfacher auszudrücken: Während die Firma X ihren personellen
Mehraufwand auf ihre Preise aufschlägt, sind Kliniken und andere soziale
Einrichtungen dem Diktat ihrer jeweiligen Kostenträger unterworfen, und die
bezahlen halt keine Betriebsräte!
Damit aber
noch nicht genug. Wer jetzt erwartet, dass sich soziale Einrichtungen mit
Betriebsräten gegen einen solchen Unterschleif des BetrVG wehren, irrt sich
gewaltig. Zum einen wollen diese Einrichtungen oft keinen höheren Pflegesatz,
da der auch einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den billigeren
betriebsratslosen Einrichtungen darstellen würde. Zum anderen sind Betriebsräte
generell lästig, indem sie den Unternehmer in seiner freien Unternehmensführung
vermeintlich einschränken, weil sie weniger zu betriebswirtschaftlicher
„Vernunft“ neigen als zu sozialen „Phantastereien“. Deshalb wird das Argument
der fehlenden Refinanzierung von BR-Tätigkeit seitens dieser Arbeitgeber nur zu
gern missbraucht, um schwierige Betriebsräte wenn nicht mundtot, so doch
weitgehend unwirksam zu halten.
Das trifft
nicht auf alle sozialen Unternehmen zu, es gibt da löbliche Ausnahmen. Wenn
man, wie ich, jedoch bei einem Arbeitgeber beschäftigt ist, der sich heuchlerisch
„Arbeiterwohlfahrt“ nennt, für dessen Vorstand jedoch betriebswirtschaftliches
Expansionsstreben zur göttlichen Qualität erhoben wird, und der dazu noch mit
einem ehrenamtlichen Verwaltungsrat „gesegnet“ ist, der scheinheilig alle
Entscheidungen abnickt und sich dabei trotz hehrer sozialpolitischer
Forderungen in seinem eigenen Unternehmen einen Sch… um die ethischen
Grundsätze der AWO schert, dann sieht das Ganze allmählich schon sehr prekär
aus.
Der
Gesetzgeber lässt mich als Betriebsrat im Grunde im Regen stehen, indem er mir
zwar einerseits Rechte einräumt, aber für deren Durchsetzung keine suffizienten
Mechanismen vorhält. Ich wiederhole daher meine Forderung an den Gesetzgeber:
Kostenträger sozialer Einrichtungen benötigen die Verpflichtung der Anerkennung
von Betriebsratsarbeit als Kostenfaktor der Personalplanung. Des Weiteren
fordere ich die Gewerkschaften auf, ihr politisches Gewicht in die Waagschale
zu werfen, um geeignete gesetzliche Regelungen herbeizuführen. Nicht zuletzt
aber erwarte ich auch von der Arbeiterwohlfahrt, dass sie ihrem Namen und ihren
Leitsätzen wieder gerecht wird. Für die AWO Schwaben bezieht sich diese
Erwartung vorrangig auf deren ehrenamtliches Präsidium, dessen satzungsgemäße
Aufgabe schließlich darin besteht, über die Verwirklichung der ethischen Grundsätze
der Arbeiterwohlfahrt in den eigenen Unternehmen zu wachen.