Sonntag, 18. Januar 2015

Personalplanung muss Betriebsratstätigkeit berücksichtigen

Nach meiner urlaubs- und krankheitsbedingten „Auszeit“ habe ich neulich endlich auch wieder an einer Sitzung des Gesamtbetriebsrats teilgenommen. Erfreulicherweise gab es diesmal eine recht ordentliche Teilnehmerzahl zu verzeichnen, sodass wir mit den Stimmenanteilen der anwesenden Betriebsräte mit gut 700 der eigentlich mehr als 900 Stimmen beschlussfähig waren. Aber Moment mal, unser Unternehmen hat doch an die 2.300 Beschäftigte! Also werden ja mehr als 1.300 davon überhaupt nicht durch Betriebsräte vertreten! Und dabei handelt es sich bei diesem Unternehmen noch um eines, das sich auf gesellschaftspolitischer Ebene unter anderem auch immer wieder für soziale Gerechtigkeit stark macht: die Arbeiterwohlfahrt mit ihren Wurzeln in der Arbeiterbewegung der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts. Wie kann es geschehen, dass ausgerechnet eine Gliederung dieses Sozialverbandes, von dem man aktives Eintreten für Arbeitnehmerrechte erwartet, sich leistet, in den eigenen Betrieben genau dies nicht bzw. nur halbherzig zu tun?

Bei etwas detaillierterer Betrachtung, der Verteilung von Betriebsräten auf die Betriebe der AWO Schwaben wird deutlich, dass es in der Mehrzahl die größeren Altenheime sind, in denen Betriebsräte installiert wurden. Fast gar nicht vertreten sind die vielen Kindergärten und Beratungsstellen der AWO. Ich als Betriebsrat einer Fachklinik mit 18 Mitarbeitern bilde eine der Ausnahmen, bei der kleinere Betriebe doch einen Betriebsrat gewählt haben. Besser müsste man sagen: bei der sich überhaupt Kollegen oder Kolleginnen zur Wahl gestellt haben. Warum dies meist nicht geschieht, habe ich im Grunde bereits in meinem letzten Blogbeitrag dargestellt. Ich werde aber nicht müde, hier immer wieder auf eklatante Mängel hinzuweisen. Daher vielleicht dasselbe hier noch mal mit anderen Worten:

Der § 37 BetrVG sichert mir als Betriebsrat zu, dass mein Arbeitgeber mich von meiner beruflichen Tätigkeit zu befreien hat, wenn und soweit dies zur Durchführung meiner Betriebsratsaufgaben erforderlich ist. Toll! Dann ist ja alles klar! Entsprechend hatte mir auch ein früherer Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats (GBR) des Unternehmens, zu welchem die Einrichtung gehört, in der ich beschäftigt bin, gesagt: „Du hast alle Zeit der Welt für deine BR-Aufgaben!“ Fantastisch! Dann werde ich also ca. 20-30 % von meiner beruflichen Arbeit entlastet, da ich ja als einzelner Betriebsrat auch gleichzeitig Mitglied im GBR des Unternehmens bin und als solches wiederum in den Gesamtbetriebsausschuss (GBA) gewählt wurde. Beides ist jeweils mit zusätzlicher Reisetätigkeit außerhalb der Einrichtung, in der sich mein Arbeitsplatz befindet, verbunden.

Nun kommt aber mein Chef daher, schaut mich milde lächelnd an und meint: „Das mit den 20-30 % Entlastung kannst du vergessen! Denn die kriege ich von den Kostenträgern nicht refinanziert!“ Ich arbeite nämlich in einer Klinik, die mit Rentenversicherungen und Krankenkassen einen Pflegesatz aushandeln muss, in dem unter anderem ein bestimmter Personalschlüssel berücksichtigt wird. Da aber viele Kliniken keinen Betriebsrat haben, sind diese Kostenträger nicht bereit, den Einrichtungen mit Betriebsräten mehr Geld zu bezahlen, damit sie ihr Personal um die für die Betriebsratsarbeit erforderliche Größe aufstocken können. Um es einfacher auszudrücken: Während die Firma X ihren personellen Mehraufwand auf ihre Preise aufschlägt, sind Kliniken und andere soziale Einrichtungen dem Diktat ihrer jeweiligen Kostenträger unterworfen, und die bezahlen halt keine Betriebsräte!

Damit aber noch nicht genug. Wer jetzt erwartet, dass sich soziale Einrichtungen mit Betriebsräten gegen einen solchen Unterschleif des BetrVG wehren, irrt sich gewaltig. Zum einen wollen diese Einrichtungen oft keinen höheren Pflegesatz, da der auch einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den billigeren betriebsratslosen Einrichtungen darstellen würde. Zum anderen sind Betriebsräte generell lästig, indem sie den Unternehmer in seiner freien Unternehmensführung vermeintlich einschränken, weil sie weniger zu betriebswirtschaftlicher „Vernunft“ neigen als zu sozialen „Phantastereien“. Deshalb wird das Argument der fehlenden Refinanzierung von BR-Tätigkeit seitens dieser Arbeitgeber nur zu gern missbraucht, um schwierige Betriebsräte wenn nicht mundtot, so doch weitgehend unwirksam zu halten.

Das trifft nicht auf alle sozialen Unternehmen zu, es gibt da löbliche Ausnahmen. Wenn man, wie ich, jedoch bei einem Arbeitgeber beschäftigt ist, der sich heuchlerisch „Arbeiterwohlfahrt“ nennt, für dessen Vorstand jedoch betriebswirtschaftliches Expansionsstreben zur göttlichen Qualität erhoben wird, und der dazu noch mit einem ehrenamtlichen Verwaltungsrat „gesegnet“ ist, der scheinheilig alle Entscheidungen abnickt und sich dabei trotz hehrer sozialpolitischer Forderungen in seinem eigenen Unternehmen einen Sch… um die ethischen Grundsätze der AWO schert, dann sieht das Ganze allmählich schon sehr prekär aus.

Der Gesetzgeber lässt mich als Betriebsrat im Grunde im Regen stehen, indem er mir zwar einerseits Rechte einräumt, aber für deren Durchsetzung keine suffizienten Mechanismen vorhält. Ich wiederhole daher meine Forderung an den Gesetzgeber: Kostenträger sozialer Einrichtungen benötigen die Verpflichtung der Anerkennung von Betriebsratsarbeit als Kostenfaktor der Personalplanung. Des Weiteren fordere ich die Gewerkschaften auf, ihr politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen, um geeignete gesetzliche Regelungen herbeizuführen. Nicht zuletzt aber erwarte ich auch von der Arbeiterwohlfahrt, dass sie ihrem Namen und ihren Leitsätzen wieder gerecht wird. Für die AWO Schwaben bezieht sich diese Erwartung vorrangig auf deren ehrenamtliches Präsidium, dessen satzungsgemäße Aufgabe schließlich darin besteht, über die Verwirklichung der ethischen Grundsätze der Arbeiterwohlfahrt in den eigenen Unternehmen zu wachen.